Energieversorgung in Gefahr: NERC-Bericht warnt vor wachsender Stromnachfrage durch Rechenzentren

Am 17. Dezember 2024 veröffentlichte die North American Electric Reliability Corporation (NERC) ihre jährliche Langzeitstudie zur Stromnetzstabilität (Long-Term Reliability Assessment, LTRA). Der Bericht zeigt auf, dass Nordamerika in den nächsten zehn Jahren mit einer deutlichen Zunahme des Strombedarfs rechnen muss. Besonders kritisch: Mehr als die Hälfte des Kontinents droht in diesem Zeitraum eine erhöhte Gefahr von Energieengpässen. Haupttreiber dieser Entwicklung sind neue Rechenzentren, welche massiv zum Anstieg des Energieverbrauchs beitragen.

Neue Rechenzentren erhöhen die Stromnachfrage dramatisch

Laut NERC steigen Strombedarf und Energieverbrauch in einem Tempo, das seit zwei Jahrzehnten nicht mehr erreicht wurde. Besonders Rechenzentren, die innerhalb kurzer Zeit errichtet werden können, treiben diesen Bedarf an. Die Zunahme digitaler Dienste sowie die Elektrifizierung zahlreicher Industrien – etwa durch Wasserstoffproduktion und neue Fertigungsanlagen – verschärfen die Lage zusätzlich.

Mark Olson, Manager der Abteilung für Zuverlässigkeitsbewertungen bei NERC, erläuterte:
„Der Bedarf wächst in allen Jahreszeiten schneller als je zuvor. Gleichzeitig werden über 115 Gigawatt an Kraftwerkskapazitäten in den nächsten zehn Jahren stillgelegt. Ein großer Teil dieser Lücke soll durch erneuerbare Energien gedeckt werden, doch es fehlen zuverlässige Energiequellen wie Erdgas, um jederzeit eine stabile Versorgung sicherzustellen.“

Höhere Nachfrage sowohl im Sommer als auch im Winter

Der Bericht prognostiziert einen Anstieg der sommerlichen Spitzenlasten um mehr als 122 Gigawatt in den kommenden zehn Jahren. Das entspricht einem Zuwachs von 15,7 Prozent im Vergleich zum heutigen Niveau. Auch im Winter wird der Bedarf voraussichtlich um 14 Prozent steigen. Diese Steigerungen übertreffen die Erwartungen des Berichts von 2023 deutlich.

Fortschritte beim Netzausbau, aber Hürden bleiben

Positiv hebt der Bericht hervor, dass die Investitionen in den Ausbau der Übertragungsnetze zunehmen. Zahlreiche neue Projekte sind entweder in Planung oder befinden sich bereits im Bau. Dennoch mahnt John Moura, Direktor für Zuverlässigkeitsbewertungen bei NERC, zur Vorsicht:
„Wir sehen Fortschritte, doch die bestehenden Hürden beim Genehmigungsprozess und beim Bau der Infrastruktur gefährden weiterhin die Umsetzung.“

Das Fehlen einer ausreichenden Übertragungskapazität zwischen den einzelnen Netzgebieten ist ein weiteres Problem. Laut einer begleitenden Studie zur Interregionalen Transferkapazität (Interregional Transfer Capability Study) könnte eine Steigerung der Übertragungskapazität um 35 Gigawatt helfen, Energieengpässe in Krisensituationen zu vermeiden.

Höchstes Risiko in der MISO-Region

Besonders kritisch ist die Situation in der Region des Midcontinent Independent System Operator (MISO). Hier fehlen ausreichende Reservekapazitäten, um die Nachfrage selbst unter normalen Bedingungen zu decken. Ursache ist der anhaltende Rückgang traditioneller Kraftwerkskapazitäten, während der Bedarf weiter steigt.

NERC gibt Handlungsempfehlungen für die Energiepolitik

Der Bericht enthält mehrere Empfehlungen für Energiepolitiker, Regulierungsbehörden und die Industrie. Diese sollen helfen, die Stromversorgung auch während des laufenden Energiewandels zuverlässig zu gestalten:

  • Geplante Kraftwerksabschaltungen besser steuern: Die Geschwindigkeit, mit der bestehende Kraftwerke vom Netz genommen werden, muss besser auf die Versorgungssicherheit abgestimmt werden.
  • Weitreichendere Analysen: Es sollte verstärkt auf großflächige Analysen des Energiebedarfs und der Übertragungskapazitäten gesetzt werden, wie sie in der Interregionalen Transferstudie durchgeführt wurden.
  • Schnellere Genehmigungsverfahren: Die Hürden für den Bau neuer Kraftwerke und Übertragungsnetze müssen gesenkt werden, insbesondere durch vereinfachte Genehmigungsprozesse auf regionaler, nationaler und provinzieller Ebene.
  • Engere Zusammenarbeit mit der Gasindustrie: Da Erdgas in vielen Regionen weiterhin eine wichtige Rolle spielt, müssen Strom- und Gasversorger ihre Zusammenarbeit intensivieren, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
  • Sicherstellung von Netzstabilität: Regionale Übertragungsorganisationen und unabhängige Systembetreiber müssen grundlegende Netzstabilitätsdienste weiterhin garantieren.

Wachsende Risiken durch Energieknappheit

Der Bericht zeigt auf, dass die Regionen, die von möglichen Stromausfällen betroffen sind, unter normalen Wetterbedingungen in der Regel über ausreichende Kapazitäten verfügen. Doch unter extremen Bedingungen, wie etwa während Hitzewellen oder Kälteperioden, könnte es in zahlreichen Gebieten zu Versorgungsengpässen kommen.

Fazit: Stromversorgung bleibt eine Herausforderung

NERCs 2024-Bericht verdeutlicht, dass die Energieversorgung in Nordamerika vor einer schwierigen Zukunft steht. Der Boom bei Rechenzentren und die fortschreitende Elektrifizierung treiben den Energiebedarf in die Höhe, während traditionelle Kraftwerke stillgelegt werden. Um die Netzstabilität zu sichern, sind erhebliche Investitionen in die Energieinfrastruktur sowie politische Maßnahmen erforderlich. Die kommenden Jahre werden entscheidend dafür sein, ob es gelingt, eine zuverlässige Energieversorgung trotz wachsender Nachfrage zu gewährleisten.

Was ist der NERC-Bericht (LTRA)?

Der NERC-Bericht (Long-Term Reliability Assessment, LTRA) ist eine jährliche Studie der North American Electric Reliability Corporation, die die langfristige Zuverlässigkeit der Stromversorgung in Nordamerika bewertet. Der Bericht analysiert Risiken und Herausforderungen im Energiesektor für die nächsten zehn Jahre.

Warum ist die Stromversorgung in Nordamerika gefährdet?

Die Stromversorgung in Nordamerika ist gefährdet, da die Nachfrage nach Elektrizität stark steigt, während gleichzeitig zahlreiche Kraftwerke stillgelegt werden. Besonders der Bau neuer Rechenzentren trägt erheblich zum Anstieg des Strombedarfs bei.

Welche Rolle spielen Rechenzentren bei der steigenden Stromnachfrage?

Rechenzentren verbrauchen große Mengen an Strom und treiben die Nachfrage erheblich in die Höhe. Da sie in kurzer Zeit gebaut werden können, erhöhen sie die Spitzenlasten im Stromnetz und stellen neue Herausforderungen für die Netzstabilität dar.

Welche Empfehlungen gibt NERC zur Sicherung der Stromversorgung?

NERC empfiehlt, geplante Kraftwerksstilllegungen besser zu steuern, die Genehmigungsprozesse für neue Infrastrukturprojekte zu vereinfachen und die Zusammenarbeit zwischen Strom- und Gasversorgern zu verstärken, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Warum ist die Region des Midcontinent Independent System Operator (MISO) besonders gefährdet?

In der MISO-Region fehlen ausreichende Reservekapazitäten, um die Nachfrage unter normalen Bedingungen zu decken. Dies liegt daran, dass neue Kapazitäten den Rückgang traditioneller Kraftwerke nicht ausgleichen können.

Was ist die Interregionale Transferkapazitätsstudie (ITCS)?

Die Interregionale Transferkapazitätsstudie (ITCS) von NERC untersucht die Möglichkeit, die Übertragungskapazität zwischen verschiedenen Netzgebieten zu erhöhen. Eine zusätzliche Transferkapazität von 35 Gigawatt könnte dazu beitragen, Energieengpässe in Krisensituationen zu vermeiden.

Welche Herausforderungen gibt es beim Ausbau der Stromnetze?

Der Ausbau der Stromnetze wird durch komplexe Genehmigungsprozesse und Bauvorschriften erschwert. NERC betont, dass die Überwindung dieser Hürden entscheidend ist, um eine zuverlässige Stromversorgung in Zukunft sicherzustellen.